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Hiroyuki Takada: Der Mythos der Lügenpresse. Wie Sprachdaten die Nazi-Lexik entlarven (MU)

Produktabbildung

Produkttyp: Beitrag (Zeitschrift)

Autor(in): Hiroyuki Takada

Titel: Der Mythos der Lügenpresse. Wie Sprachdaten die Nazi-Lexik entlarven

Publikation in: Muttersprache, 135. Jahrgang, Heft 1

Seiten: 12–43 (32 Seiten)

Erschienen: 15.03.2025

Abstract: siehe unten

URI: https://doi.org/10.53371/61226


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Preis: 4,90 € inkl. MwSt.
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Abstract

Das Wort Lügenpresse gilt heute als NS-Vokabel. Analysiert man jedoch die Häufigkeit seiner Verwendung in nationalsozialistischen Texten aus der Zeit von 1918 bis 1945, kann es kaum als repräsentativer Bestandteil des NS-Vokabulars eingeordnet werden. Spätestens seit 2010 wird es von Rechtspopulist(inn)en und in der Neonazi-Szene zunehmend gegenüber rechtskritischen Medien bewusst als NS-Vokabel verwendet, obwohl dies sprachhistorisch nicht der Wahrheit entspricht. Die Initiator(inn)en der PEGIDA-Bewegung scheinen den Ausdruck 2014 als Fahnenwort ihrer Bewegung übernommen zu haben. Nachdem die Unwort-Jury im Januar 2015 Lügenpresse als »nationalsozialistisch vorbelasteten Begriff« bezeichnet hatte, wurde er in Teilen der Medien fälschlicherweise sogar als ein von den Nationalsozialisten »intensiv« verwendeter Begriff dargestellt. So konnte sich der Mythos der Lügenpresse in kurzer Zeit verselbstständigen. Der AfD-Politiker Björn Höcke distanziert sich zwar von einer individuellen Verwendung, in den Sprechchören der Demonstrant(inn)en vor ihm ist der Ausdruck Lügenpresse jedoch recht häufig und laut zu hören. Der Mythos passte allen: der Unwort-Jury, den Medien, den PEGIDA-Demonstrant(inn)en und nicht zuletzt AfD-Politiker(inne)n wie Höcke, weshalb an der Faktizität von Lügenpresse als Teil des NS-Vokabulars kein Zweifel aufkam und dementsprechend bisher keine weiteren Untersuchungen angestellt wurden.

The word Lügenpresse (lying press) is now considered a Nazi term. However, when we analyse the frequency of its use in National Socialist texts from 1918 to 1945, it can hardly be classified as a representative component of Nazi vocabulary. Since 2010 at the latest, it has been deliberately used as a Nazi term by right-wing populists and in the neo-Nazi scene with reference to right-wing critical media, though, with regard to language history, this does not correspond to the truth. The initiators of the PEGIDA movement seem to have adopted the term as their motto in 2014. After the Un-word jury had described Lügenpresse as a ›national-socialist-biased term‹ in January 2015, it was even erroneously presented in parts of the media as a term that was ›intensively‹ used by the Nazis. This allowed the myth of the Lügenpresse to take on a life of its own in a short period of time. Although AfD politician Björn Höcke distances himself from its use in an individual sense, the term Lügenpresse is heard quite frequently and loudly in the chants of the demonstrators before him. The myth suited everyone: the Un-word jury, the media, the PEGIDA demonstrators and, not least, AfD politicians like Höcke. As a result, no doubt arose about the factuality of Lügenpresse as part of the Nazi vocabulary, and accordingly no further investigations were carried out until now.