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Artikeldetails

Damaris Nübling: Geschlecht in der Grammatik: Was Genus, Deklination und Binomiale uns über Geschlechter(un)ordnungen berichten (MU)
(»Sprache und Geschlecht.« Beiträge zur Gender-Debatte)

Produktabbildung

Produkttyp: Beitrag (Zeitschrift)

Autor(in): Damaris Nübling

Titel: Geschlecht in der Grammatik: Was Genus, Deklination und Binomiale uns über Geschlechter(un)ordnungen berichten

Publikation in: Muttersprache, 130. Jahrgang, Heft 1

Seiten: 17–33 (17 Seiten)

Erschienen: 15.03.2020

Abstract: siehe unten


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Preis: 4,90 € inkl. MwSt.
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Abstract

Tief in grammatische Strukturen sedimentiert lassen sich historische Geschlechterkonzepte freilegen, die weit über das hinausgehen, was die Linguistik unter Sexus versteht. Vielmehr geht es um Gender, um Geschlechterordnungen, die Frauen und Männern ihre sozialen Plätze zuweisen. Drei grammatische Domänen werden untersucht: Erstens das System der Deklinationsklassen, wo der Ausdruck unterschiedlicher Kasus Auskunft über unterschiedliche Handlungsrollen und -optionen gibt und deutlich wird, dass bei der Deklination von Männerbezeichnungen mehr Kasus unterschieden werden als bei der von Frauenbezeichnungen. Die Pluralbildung zeigt, dass und wie die Opposition Umlaut vs. Nicht-Umlaut über Belebtheit und Sozialstatus des (männlichen) Denotats informiert (Vogt/Vögte vs. Strolch/Strolche). Zweitens wird das Genussystem untersucht, das durch »Fehlklassifikationen«, d. h. durch Devianzen von der sog. Genus/Sexus-Regel, soziale Devianz ausstellt, vgl. die Tunte, der Vamp, das Weib. Der dritte Komplex fokussiert die Syntax, genauer Binomiale als verfestigte Sprachgebrauchsmuster. Die Abfolge koordinierter Personenbezeichnungen wie Mann und Frau, Mama und Papa reflektiert Geschlechterhierarchien. Im Laufe der Jahrzehnte kommt es jedoch zu Lockerungen: Mütter treten zunehmend vor Väter und mehr noch Mamas vor Papas, während – jenseits der Familie – Männer weiterhin vor Frauen stehen.

Although ancient cultural gender concepts are buried deeply in modern grammatical structures, it is possible to uncover those ancient concepts, which reach far beyond the linguistic notion of a correlation of biological sex and grammatical gender. Stereotypically, in German, terms for biologically female humans have feminine gender whereas terms for biologically male humans have masculine gender. The ancient gender system focusses on socially constructed gender norms rather than biological sex, as it systematically assigns gendered social roles to women and men. My analysis covers three domains of grammar: First, the system of declension classes, where different cases assign different roles. I show that terms denoting men are found in a higher variety of cases than terms denoting females. Moreover, the opposition of umlaut against non-umlaut plural marking indicates animacy and social status of male persons: Vogt/Vögte ›bailiff/bailiffs‹ vs. Strolch/Strolche ›vagabond/vagabonds‹. Secondly, I examine the gender system, where »false« gender assignment exposes deviance from social norm, compare die – the.fem. Tunte ›gay‹ for a man, der – the.masc. Vamp ›vamp‹ for a woman, das – the.neuter Weib ›hag‹ for a woman. Thirdly, I focus on binomials as solidified linguistic patterns. Fixed sequences of coordinated terms denoting humans bear reflections of gender hierarchies (consider Mann und Frau ›man and woman‹, Mama und Papa ›Mum and Dad‹). Yet, over the course of several decades, there is an increase in flexibility: Gradually, mothers (Mütter) are placed before fathers (Väter) and what is more, Mums (Mamas) are placed before Dads (Papas). Beyond the family, syntactically men (Männer) still precede women (Frauen).