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Artikeldetails

Christoph Frilling: Zur Problematik des Begriffs »Flüchtlinge« (MU)

Produktabbildung

Produkttyp: Beitrag (Zeitschrift)

Autor(in): Christoph Frilling

Titel: Zur Problematik des Begriffs »Flüchtlinge«

Publikation in: Muttersprache, 126. Jahrgang, Heft 4

Seiten: 350–356 (7 Seiten)

Erschienen: 15.12.2016

Abstract: siehe unten


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Preis: 4,90 € inkl. MwSt.
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Abstract

2015 erklärte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) das Wort Flüchtlinge zum Wort des Jahres. Gebildet aus dem Verb flüchten und dem Ableitungssuffix -ling (für »Person, die durch eine Eigenschaft oder ein Merkmal charakterisiert ist«) klinge, so die Jury der GfdS, der Ausdruck Flüchtling »für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig« (GfdS 2015). Eisenberg (2016: 1) allerdings weist die von der GfdS konstatierte negative Konnotation des Wortes als »durch nichts begründet« zurück. Es stellt sich also die Frage, ob diese Theorie linguistisch belegbar ist. Offensichtlich haben alle deutschen Wörter auf -ling einen negativen Beigeschmack, wenn sie von Adjektiven abgeleitet werden. Eine pejorative Konnotation ist auch bei einer Mehrzahl von -ling-Bildungen unbestreitbar, wenn sie auf ein Verb zurückzuführen sind. Es scheint jedoch eine Anzahl von Fällen zu geben, in denen die abfällige Wirkung nicht im Stammmorphem auszumachen ist, sondern im Suffix -ling selbst. Zumindest kann die Theorie verifiziert werden, dass bei Wörtern auf -ling stets eine besondere Wirkung erzielt wird, das heißt ein abwertender, marginalisierender, spöttischer und verniedlichender Effekt, der eine gewisse Lieblichkeit, Unschuld oder Unfertigkeit impliziert. Wegen der aktuellen Brisanz des Wortes Flüchtling werden gegenwärtig verschiedene Bezeichnungen diskutiert, um die Akzeptanz gegenüber Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, positiv zu beeinflussen. Die »Heimatvertriebenen« aus den früheren deutschen Ostgebieten genießen den sozialen Vorteil, dass ihre sprachliche Bezeichnung gewöhnlich positiv konnotiert wurde – vielleicht aus Gründen politischer Opportunität.

In 2015 the German word Flüchtling was nominated word of the year by the »Gesellschaft für deutsche Sprache« (GfdS) – the German Language Society. In German this word is formed from the verb flüchten (›to flee‹) and the derivative suffix -ling that we often use to express that a person is characterized by a certain property or a feature (attribute). Furthermore -ling is often used as a diminutive. The selection committee, however, felt the expression Flüchtling to be disparaging – at least for speech-sensitive ears. The question is whether this theory can be verified linguistically. Obviously there is a negative after-taste with all German words ending with -ling that are derived from adjectives. A pejorative touch is also indeniable with a majority of words harking back to verbs. However, there seems to be a number of cases where the derogatory component does not consist in the root morpheme but in the suffix -ling itself. At least the theory can be verified that with words ending with -ling, a very special impact is always achieved, that is to say a derogatory, marginalizing, mocking and belittling effect implying sweetness, innocence or incompleteness. Due to the topical problem of the expression Flüchtling, various alternative words are currently being discussed in order to affect positively the acceptance of displaced persons who have fled their homes. The »Heimatvertriebene« (expellees) from the former German eastern territories enjoy the social advantage that their linguistic designation mostly used to be connoted positively – perhaps for reasons of political convenience.